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Schulsozialarbeit im Spannungsfeld von Zwangskontext und Freiwilligkeit

Ein Balanceakt zwischen zwei Welten

Es ist nun einmal so in Deutschland - zum Glück könnte man sagen: kein Kind darf selbst entscheiden, ob es zur Schule gehen will oder nicht. Wir haben die Schulpflicht und jedes Kind, jeder Teenager und jeder Jugendliche ist bis zu einem gewissen Alter gezwungen, eine Schule zu besuchen. Zum einen ist dies sehr gut, denn allen Kindern in unserem Land ist Bildung möglich. Zum anderen ist es auch für jeden Schüler und Schülerin (SuS) immer wieder ein Zwang, ein Muss. Jeden Morgen aufs Neue sich aufzumachen in eine Umgebung, in der nicht unbedingt die Freunde sind, nicht unbedingt Menschen sind, die es gut mit einem meinen. Es besteht keine Frage: von Freiwilligkeit ist hier nicht die Rede. In dieses starre, oftmals hierarchisch geleitete und strukturierte Schulsystem trifft die Schulsozialarbeit als Leistung der Kinder und Jugendhilfe - vor kurzem erst verankert im § 13a SGB VIII. Soziale Arbeit an der Schule als Angebot der Kinder- und Jugendhilfe ist zur Unterstützung und Beratung von SuS in individuellen Problemlagen, Krisen und Konflikten, von Erziehungsberechtigten, aber auch Lehrenden vorgesehen. Weiterhin begleitet Schulsozialarbeit je nach Angebot der Schule einzelne Schülergruppen, wie beispielsweise Medienscouts, Streitschlichter oder die Schülervertretung. Zudem macht die Schulsozialarbeit Angebote für ganze Klassen, z.B. Präventionsangebote, Klassentraining, Unterstützung im Klassenrat.

Bei allen Angeboten sollten vier Arbeitsprinzipien gelten: Beteiligung, Transparenz, Vertraulichkeit und die Freiwilligkeit. Die ersten drei Prinzipien werden, so weit es geht, auch im Schulalltag von Lehrenden umgesetzt und beachtet. Schüler und Schülerinnen werden in Prozessen beteiligt, über Neuerungen zum Schulalltag informiert, aktuelle Entwicklungen werden transparent gemacht. Über Noten oder Probleme der SuS wird von Lehrenden Vertraulichkeit bewahrt. In diesen drei Punkten werden sich Schulsozialarbeit und Prinzipien der Schule wenig in die Quere kommen. (Sich das immer wieder vor Augen zu halten, ist sehr entlastend, denn Gemeinsames ist mehr als Unterscheidendes!!!)

Verwirklichung des Prinzips der Freiwilligkeit

Jedoch bei dem Prinzip der Freiwilligkeit ist ein Zusammenkommen beider Professionen unmöglich. Und doch muss Schulsozialarbeit und jeder, der darin arbeitet, täglich einen guten Weg finden, dieses Prinzip der Freiwilligkeit in einem unfreiwilligen System zu verwirklichen. Hierbei ist es nützlich, zum einen die Angebote der Schulsozialarbeit, zum anderen die Rolle der Fachkraft im System genauer zu betrachten. Es gibt Angebote zum Beispiel in der aktiven Pausengestaltung, offene Treffs wie ein Schulclub, ein Spieltreff im Pausenkontext oder am Nachmittag, niedrigschwellige Begegnungen auf der Hofpause mit dem Zweck der Kontaktaufnahme, Bewegung, Beschäftigung oder Begegnung. Aber auch zwanglose Tür- und Angelgespräch / Ganggespräche - scheinbar grundlos - lediglich mit dem Nutzen des Beziehungsaufbaus, bzw. der Beziehungsvertiefung zu den SuS. Bei diesen genannten Beispielen ist das Prinzip der Freiwilligkeit absolut gegeben. SuS können das Angebot annehmen, bei den Spielen teilnehmen oder eben nicht. Und am Anfang aller Angebote steht immer das Wer und nicht das Was. Der größte nachträglich nutzbare Mehrwert dieser Angebote ist der Beziehungsaufbau zwischen SuS und der Fachkraft. Jeder Begegnung mit den Kindern und Jugendlichen sollte stets eine offene, einladende, freundliche und wohlwollende Haltung zu Grunde liegen. So kann es gut gelingen, eine vertrauensvolle und solide Beziehung zu ihnen aufzubauen, die im weiteren Begegnungskontext eine wertvolle Basis darstellt. Die Rolle als Fachkraft ist an dieser Stelle ein zwangloser, neutraler und allparteilicher Ansprechpartner für die alltäglichen Belange der SuS zu sein. Dabei werden Beziehungen gebaut, man lernt sich kennen, kann Dynamiken wahrnehmen und hören, wo „der Schuh drückt“. Dieses freiwillige Beziehungsangebot in der Schulsozialarbeit ist von größter Bedeutung für jedes weitere Arbeiten mit den SuS und dem sollte unbedingt Raum und Zeit eingeräumt werden. Denn wenn wir weiter auf die Angebote der Schulsozialarbeit schauen, wird schnell klar, dass Freiwilligkeit nur noch bedingt möglich ist.

Beratung und Gruppenangebote

Das Angebot der persönlichen Beratung in Krisen, bei Problemlagen oder in belastenden Lebenslagen – egal ob schulischer oder privater Kontext ist ganz klar der Freiwilligkeit unterlegen. Und dies sollte auch stets am Anfang eines Beratungsgesprächs geklärt werden. Jedoch gibt es im schulischen Kontext auch diejenigen, die aufgrund von Beobachtung, auffälligem Verhalten etc. der Schüler oder die Schülerin zu der Überzeugung kommen, es bräuchte eine Beratung. In den allermeisten Fällen stehen gute Gründe und Wohlwollen hinter dieser Idee. Und doch ist hier dieses wichtige Prinzip der Freiwilligkeit in der Beratung von höchster Bedeutung und sollte auf keinen Fall übergangen werden. In einem solchen Fall könnte man auf die zwanglosen Gang- oder Hofgespräche zurückgreifen und eine Brücke zu dem Schüler oder der Schülerin schlagen.
Darüberhinaus gibt es freiwillige Gruppenangebote der Schulsozialarbeit mit einzelnen Schülergruppen, z.B. Ganztagsangebote, Schülervertretung, Schülerstreitschlichter, Medienscouts oder anderen Schülergruppen, die gemeinsam ein Ziel verfolgen und sich außerhalb des Unterrichts organisieren. Diese Schülergruppen werden in ihrer Arbeit unterstützt, bestärkt und gefördert. Hierbei ist es wichtig, dass die SuS eine Wahl haben/hatten, bei der Gruppe dabei zu sein. Eine gute Beziehung zu den SuS ist auch in diesem Zusammenhang von großer Bedeutung, um ihre Begabungen zu erkennen, sie in ihren Stärken zu ermutigen oder sie herauszufordern, ihre Kompetenzen zu entdecken. Diese Angebote mit einzelnen SuS sind für die individuelle Persönlichkeitsstärkung von großer Bedeutung. Im Rahmen vom CVJM besteht zudem die Möglichkeit SuS je nach ihren Interessen und Begabungen zu Angeboten des Trägers einzuladen.

Angebote mit ganzen Schulklassen

In der Arbeit mit ganzen Klassen ist das Prinzip der Freiwilligkeit nur bedingt umzusetzen. Diese Angebote finden meistens durch festgeschriebene Rahmenbedingungen der Schule (z.B. soziales Lernen in der Orientierungsstufe) oder aufgrund von Initiativen von Klassenlehrern (z.B. Intervention zu einem brisanten Thema der Klasse, z.B. Verhalten im Klassenchat) statt. Ebenso Präventionsangebote für ganze Klassen werden von Seiten der Schule und ihrem Präventionsplan gewünscht und dann initiiert oder durchgeführt durch die Schulsozialarbeit. (An dieser Stelle sei die Randnotiz gestattet, dass eine gute wertschätzende Zusammenarbeit von Schulsozialarbeit, Schulleitung und Lehrenden nicht zu unterschätzen ist.) Diese Gruppenangebote für Klassen haben eine klare Zielgruppe, nämlich die ganze Klasse und Freiwilligkeit ist in diesem Rahmen nicht mehr vollends möglich. Trotz allem könnte man den SuS die Wahl stellen, sich zu beteiligen oder nicht. Es gibt keinen Zwang im Sinne einer Leistungserbringung oder Leistungsabfrage für die SuS. Somit könnte der Unterschied entsprechend der Freiwilligkeit zum „normalen“ Unterricht gemacht werden. Im Vollzug könnte die Einladung zur Beteiligung immer wieder formuliert werden und so eine Brücke zu den SuS geschlagen werden. Nützlich kann es auch sein, wenn Lehrpersonen bei den Klasseninterventionen (je nach Thema) nicht anwesend sind. Die SuS könnten dadurch ein für sie gefühlt sicheres und wertfreieres Umfeld erleben, dass sich je nach Thema positiv auf die SuS und ihre Mitwirkung / Beteiligung auswirkt.

Einen Unterschied machen, der wirklich ein Unterschied ist

Zusammenfassend möchte ich festhalten, dass Schulsozialarbeit im Zwangskontext Schule einen Unterschied machen muss, der wirklich einen Unterschied macht. Selbstverständlich in der Wahl ihrer Methoden – spielerisch, erlebnispädagogisch, erlebbar, kreativ, ergebnisoffen, aber auch persönlich herausfordernd, ohne zu überfordern. Ebenso sollte in den Räumlichkeiten der Schulsozialarbeit bei der Ausstattung deutlich ein Unterschied zu den restlichen Schulräumen erkennbar und erlebbar sein (je nach Möglichkeiten z.B. Sofas, Kicker, Spiele). Und wie schon öfters erwähnt, ist es jedoch die Rolle der Fachkraft selbst, die einen Unterschied zu anderen Personen der Schule machen sollte und nicht zuletzt, weil auch ihre Aufgabe eine ganz andere ist. Ich stelle mich dieser Aufgabe seit nunmehr fünfeinhalb Jahren, nachdem ich zuvor 15 Jahre im Jugendhaus des CVJM Coswig arbeiten durfte. Und es begeistert mich, Kinder und Jugendliche zu sehen und zu begleiten, die es schaffen selbstbewusst und selbstbestimmt mit ihren eigenen Kompetenzen, Stärken und Ressourcen Probleme anzugehen und zu bewältigen. SuS dabei zu motivieren und zu unterstützen ihre Herausforderung, die jeder neue Tag in der Schule an sie stellt, zu meistern und Perspektiven für ihr Leben zu entwickeln – das alles ist es eigentlich…  Angebote der Jugendhilfe an einer örtlichen Schule zu machen.

Christine Kreye, CVJM Coswig