Kinder und Jugendliche
im Lebensraum Schule begleiten
ein Beitrag von Sabine Schmalzhaf, Landesschülerpfarrerin im ejw und
Oliver Pum, Referent für die Kooperation von Kirche, Jugendarbeit und Schule im ejw
(dieser Artikel erschien in der Ausgabe 1/2023 von "unter uns", dem Magazin des ejw)
„Schule ist mehr als Unterricht.“ Das hört man immer wieder von Eltern, Lehrkräften und auch in der Kinder- und Jugendarbeit, wenn es darum geht, zu beschreiben, was neben Unterricht noch an Schule geschieht. So haben im Rahmen einer ökumenischen Besprechung von Schuldekaninnen und -dekanen drei Lehrerinnen berichtet, auf was es ihnen neben dem zu vermittelnden Lernstoff im Unterricht ankommt: Kinder und Jugendliche in ihrer Persönlichkeit stärken, ein offenes Ohr für sie haben, soziale Kompetenzen und das Miteinander fördern und immer wieder darauf achten, was die einzelnen Schülerinnen und Schüler wirklich brauchen. Deshalb bieten sie über den Unterricht hinaus Räume der Stille an und haben sich zu Schulseelsorgerinnen ausbilden lassen.
Hier wird deutlich, um was es sowohl in der Kinder- und Jugendarbeit, also auch in der schulbezogenen Jugendarbeit geht: das Beste für Kinder und Jugendliche. Dies hat auch 2017 die Delegiertenversammlung des EJW im Grundlagenpapier „Den Aufbruch wagen – im Lebensraum Schule präsent sein!“ in der Präambel hervorgehoben1. Es geht um ihre Anliegen und darum, sie in ihrem Leben und Glauben zu fördern und zu begleiten. Da macht es nur Sinn, sich zu überlegen, wie man sich gegenseitig unterstützen, Synergien nutzen kann und wie sich die jeweiligen Systeme so ergänzen können, dass junge Menschen tatsächlich gesehen und begleitet werden. Schule verändert sich ständig und mit diesen Veränderungen haben vor allem Schülerinnen und Schüler zu kämpfen und umzugehen. So verbringen Kinder und Jugendliche viel mehr Zeit in der Schule, als noch vor 20 Jahren2.
Wenn wir davon überzeugt sind, dass unsere Angebote einen Mehrwert für junge Menschen haben, dann muss uns diese Entwicklung, die in den kommenden Jahren noch schneller voranschreiten wird, zum Nachdenken anregen und uns fragen lassen: Was brauchen Kinder und Jugendliche in einem immer länger dauernden Schulalltag und wie können wir einen Teil dazu beitragen, dass es für sie Räume und Möglichkeiten gibt, sich wohl zu fühlen, weiter zu entwickeln und zur Ruhe zu kommen? Zudem sollte überlegt werden, wie Familien begleitet werden können, gerade wenn die Familienzeit mit Arbeit und Schule sehr begrenzt ist. Passen da kirchliche Angebote zeitlich und inhaltlich noch? Das sind nur zwei Herausforderungen, die schon längst da sind, sich aber mit dem Rechtsanspruch auf ganztägige Betreuung ab 2026 noch verschärfen werden.
Was ist neu ab 2026 und welche Auswirkungen könnte das auf die (evangelische) Kinder- und Jugendarbeit haben?
Ab dem Schuljahr 2026/27 haben Eltern in ganz Deutschland einen Anspruch auf ein ganztägiges Betreuungsangebot im Grundschulalter3. Dieser Rechtsanspruch umfasst fünf Tage à 8 Zeitstunden und gilt auch in den Ferien (mit Ausnahme einer Schließzeit von vier Wochen). Der Anspruch richtet sich an den Jugendhilfeträger – also den Landkreis oder die Kommune. Die konkrete Ausgestaltung in Baden-Württemberg ist noch offen, allerdings zeichnen sich drei mögliche Formen ab: die 2014 eingeführte Ganztagsschule nach §4a Schulgesetz, der Hort an der Schule sowie flexible Betreuungsangebote in Verantwortung der Kommunen. Nun könnte man sich zurücklehnen und sagen: „Da wird sich nicht viel ändern, es muss ja keiner ein Ganztagsangebot wählen.“ Das ist zwar formal richtig, unterschätzt aber vermutlich die sich verändernden gesellschaftlichen Bedingungen. Immer mehr Eltern sind ein ganztägiges Betreuungsangebot aus der Kita gewohnt und haben ihre Lebensentwürfe darauf eingestellt: Sie sind darauf angewiesen, dass beide Elternteile arbeiten – oder sie sind alleinerziehend und es stellt sich gar nicht die Frage, ob sie arbeiten oder nicht. Sie können ihre berufliche Situation nicht verändern, nur weil ihr Kind jetzt in die Schule kommt.
Eine Studie des Deutschen Jugendinstituts und der TU Dortmund geht von einer durchschnittlichen Inanspruchnahme des Rechtsanspruchs durch die Eltern von ca. 70 % aus. Zum Vergleich: Aktuell besuchen in Baden-Württemberg etwas über 20 % der Grundschülerinnen und -schüler eine Ganztagsschule nach §4a Schulgesetz. Nimmt man alle Betreuungsformen zusammen, sind es deutlich unter 50 %. Schon daran wird erkennbar, dass der Rechtsanspruch Ganztag die Schullandschaft in Baden-Württemberg stark verändern wird. Zwar wird es regionale Unterschiede geben, doch wird dies nicht holzschnittartig Stadt/Land sein: Auch manche ländliche Kommune plant aktuell mit einer Inanspruchnahme von bis zu 100 %.
Was häufig untergeht: Der Rechtsanspruch gilt auch in den Ferien! Dies wird voraussichtlich auch Auswirkungen auf Kinderfreizeiten, Kinderbibeltage, Waldheimangebote sowie die Urlaubsplanung von Familien haben (zumindest so lange sie ein Kind in der Grundschule haben). Veränderungen können Angst machen – sie können aber auch neue Chancen eröffnen: Der Rechtsanspruch im Grundschulalter wird – bei sowieso schon vorhandenem Fachkräftemangel – einen großen Personalbedarf nach sich ziehen, bei dem das Land und die Kommunen auf Unterstützung außerschulischer Partner angewiesen sind. Fachkräftebedarf heißt dabei nicht nur Hauptamt, sondern auch Freiwilligendienst und qualifiziertes Ehrenamt (Juleica, Schülermentorinnen umd -mentoren, Übungsleitende …).
Wenn wir wirklich das Beste für junge Menschen wollen, dann sollten wir auch mit dem Besten, was wir haben, für sie an dem Ort präsent sein, an dem sie bis zu 40 Stunden in der Woche verbringen: der Schule! Das Beste, was wir haben? Das sind unsere Mitarbeitenden, die in Jungscharen, Jungbläserangeboten, Kinderchören, Freizeiten, Waldheimen und vielem mehr für Kinder und Jugendliche da sind, Bildungs- und Freizeitangebote machen, Partizipation ermöglichen, Beziehung leben und junge Menschen – auch und gerade aus anderen Milieus – mit der besten Botschaft in Berührung bringen: dem Evangelium von Jesus Christus in Wort und Tat. Dies alles muss nicht ausschließlich an der Schule stattfinden: Gerade die Ganztagsschule braucht auch außerschulische Lernorte im Sozialraum: Gemeindehäuser, Jugendtreffs – und auch Kirchen.
Gelingende Kooperation mit Schule
Doch wie sieht eine gelingende Kooperation mit Schule –auch außerhalb des Ganztags – aus? Wie so oft gibt es dafür leider kein Patentrezept. Doch wichtig ist: Kooperation bedeutet nicht sofort, ein dauerhaftes Angebot an der Schule anbieten zu müssen. Gute Kooperation passt zu dem, was die Schülerinnen und Schüler brauchen und gleichzeitig auch zu dem, was man selbst an Ressourcen und Fähigkeiten mitbringt. Die Möglichkeiten sind dabei vielfältig und ganz unterschiedlich, je nachdem, was gebraucht wird und leistbar ist. Das Gute ist, dass man auch hier das Rad nicht neu erfinden muss. Es gibt schon lange gute und gelingende Kooperationen und die Angebote der genuinen kirchlichen Kinderund Jugendarbeit können ein guter Anknüpfungspunkt sein.
Denn das Ziel ist es ja, jungen Menschen eben diese Erfahrungen, die sie sonst in Gemeinde machen würden, auch im Lebensraum Schule zu ermöglichen4. Mit dem Unterschied, dass in der Schule noch mehr junge Menschen erreicht werden und von den Angeboten profitieren können. Aus diesem Grund gibt es schon viele Jahre gute Kooperationen zwischen Jugendarbeit und Schule. Das beginnt mit gemeinsamen Schulgottesdiensten, die im Kirchenjahr angeboten werden, geht über Mitarbeit bei den Projekttagen bis hin zur Nachmittagsbetreuung und Angeboten wie „Jung schar an der Schule“. Der Kreativität sind dabei keine Grenzen gesetzt und so entstehen immer wieder neue und einzigartige Projekte, wie die Bauwagenkapelle, die von Schule zu Schule zieht oder dem Erkennen, dass immer weniger Schulkinder gefrühstückt in die Schule kommen und deshalb ein regelmäßiges Schulfrühstück angeboten wird5.
Wie soll das gehen mit immer knapper werdenden Ressourcen, sowohl finanziell, als auch bei Fachkräften? Man kann auf Angebote, wie zum Beispiel die der Schülerinnen- und Schülerarbeit, zurückgreifen. Tage der Orientierung für Schulklassen werden von erfahrenen Mitarbeitenden durchgeführt, das Schülermentorenprogramm „Soziale Verantwortung lernen“, das vom Ministerium für Kultur, Jugend und Sport gefördert wird, qualifiziert Schülerinnen und Schüler dafür, sich selbst mit ihren Gaben und Fähigkeiten in der Schule einzubringen. Gemeinsam mit ihnen können dann Aktionen wie Pausenspiele, AGs oder anderes durchgeführt werden. Außerdem gibt es die Möglichkeit sich individuell beraten zu lassen, auch vor Ort im Bezirksarbeitskreis (BAK) oder dem Kirchengemeinderat6.
Zum anderen ist es immer sinnvoll, sich in seinem Umfeld umzuschauen und nach möglichen Partnerinnen und Partnern zu suchen. Denn wir sind meistens nicht die Einzigen, die Kooperationen mit Schule eingehen wollen. Sich ökumenisch oder auch im Gemeinwesen zu vernetzen ist ein wichtiger Bestandteil gelingender Kooperation. Denn gemeinsam haben wir mehr Ressourcen, die wir für Kinder und Jugendliche einsetzen können7. Das Leben, die Schule und auch die Kinder- und Jugendarbeit verändern sich stetig. Die kommenden Jahre werden sicher herausfordernd. Deshalb ist es nötig, die Veränderungen zu begleiten und mitzugestalten. Denn christliche Kinder- und Jugendarbeit macht einen Unterschied für junge Menschen, weil sie gesehen, gefördert und wertgeschätzt werden und so durch Wort und Tat das Evangelium selbst erleben.
Verweise
1 www.schuelerarbeit.de/fileadmin/schuelerarbeit/upload/2017-05-20-Grundlagenpapier_Einzelseiten.pdf
2 Vgl. Claudia Gärtner, Judith Könemann: Kirchliche Jugendarbeit in der Ganztagsschule. Chancen und Herausforderungen der Zusammenarbeit; Bielefeld, transcript Verlag 2023, S. 30.
3 www.bmfsfj.de/bmfsfj/aktuelles/alle-meldungen/rechtsanspruch-auf-ganztagsbetreuung-fuer-ab-2026-beschlossen-178826
4 Gärtner, Könemann: Kirchliche Jugendarbeit in der Ganztagsschule, S. 32f.
5 Vgl. Peter Lehmann, Wolfgang Ilg, Gottfried Heinzmann, Mike Cares: Schulbezogene Kinder- und Jugendarbeit. In: Wolfgang Ilg, Gottfried Heinzmann, Mike Cares (Hg): Jugend zählt! Ergebnisse, Herausforderungen und Perspektiven aus der Statistik 2013 zur Arbeit mit Kindern und Jugendlichen in den Evangelischen Landeskirchen Baden und Württemberg. Stuttgart, buch+musik 2014, S. 167.
6 Weitere Informationen und Kontakte finden Sie unter www.schuelerarbeit.de .
7 Gelingende ökumenische Partnerschaften finden Sie unter: https://kirsch.drs.de .